Zum neunten Mal habe ich die Wohnung durchquert und aus allen Fenstern rausgestarrt. Sie kommt einfach nicht. Kein Auto, kein Fahrrad, kein Roller, keine Doris. Mein Magen zieht sich in eisigem Grimm zusammen. Seit 40 Minuten laufe ich herum, kämme mir zum zweiunddreißigsten Mal die Haare, habe bereits Hose und Bluse ausgetauscht. Es reicht! Klar weiß ich, wie falsch alle Uhren bei Doris gehen, aber sie hat den lieben langen Tag ihr Radio eingeschaltet und könnte wenigstens zur vollen Stunde mitkriegen, wie spät es ist. Das akademische Viertel sei ihr gegönnt. Zumal ich Verabredungen grundsätzlich um diese 15 Minuten vorverlege ohne ihr Wissen natürlich. Aber sie ist und bleibt eine pathologische Trödlerin.
Nachdem ich das zehnte Mal durch die Räume gelaufen und die Nase an den Fensterscheiben plattgedrückt habe, schalte ich meinen Rechner ein. Dann kann ich noch etwas recherchieren. Für den nächsten Podcast. Am besten über Unpünktlichkeit. Ein Kaffee ist auch nicht schlecht. Mir kommen höchst interessante Seiten unter die Augen und voller Begeisterung vergesse ich die Dauer-Zu-Spät-Kommerin. Eine ungeschickte Bewegung, und der Inhalt der Kaffeetasse landet auf meiner Hose und dem Teppichboden. Ich fasse es nicht! Doris ist jetzt seit 55 Minuten überfällig. Wahrscheinlich kommt sie gar nicht. Sie meinte ja schon einmal, sie müsse nicht absagen, da man ja merke, wenn sie nicht kommt. Also rase ich ins Bad, um die Hose einzuweichen und greife im Vorbeigehen schnell den Putzlappen und mache mich mit Energie am Teppichboden zu schaffen. Der verdammte Kaffee geht nicht raus. Ich renne wieder ins Bad und reibe an der Hose herum. Die braunen Sprenkel passen eigentlich gut zum Beige der Hose, ich werde es als letzten Schrei deklarieren, denn so wie es aussieht, machen die Flecken es sich in der Hose gemütlich.
Aber der Teppichboden! Ich reibe und reibe und reibe. Da läutet es. Mensch, jetzt kommt die doch tatsächlich. Doris schneit herein und sieht mich überrascht an. „Du bist noch nicht mal angezogen! Und auch noch beim Putzen! Wir müssen los, ich bin etwas spät dran. Beeil Dich!“ Sie schüttelt den Kopf und greift in meinem Kleiderschrank nach einer Hose. „Hättest Du das Putzen nicht verschieben können?“ „Klar, hätte ich vor 2 Stunden angefangen, wäre ich jetzt fertig, wo Du mit 73 Minuten Verspätung eintrudelst“, ich konnte mir das Gift nicht verkneifen.