Ulla kommt zu spät. Macht nichts. Wir trinken sowieso erst Kaffee. Außerdem muss alles noch durchgesprochen werden. Schließlich kann weder ich noch sie einfach die Texte der anderen so hinnehmen oder übernehmen.
„Aber jetzt Ulla, lass uns mal anfangen.“ „Diese eine Textstelle gefällt mir nicht wirklich.“ „Aber, das haben wir doch schon abgehakt.“ „Trotzdem, lass‘ mich überlegen.“ „Nicht zu lange, bitte.“
„Ja, klar.“
Ulla brütet noch einmal über dem Text. Sie hat die Lösung. Prima.
Jetzt habe ich Einwände.
„Nö, also dann passt doch das gar nicht mehr, was ich später sage. Wenn Du diese Stelle so veränderst, stimmt der ganze nachfolgende Text nicht mehr. Das können wir so nicht machen.“
Sie wird säuerlich und findet, sie habe auch Rechte an dem Text. Schließlich muss sie dafür gerade stehen, was sie sagt. Und sie will an dieser Stelle jetzt nun mal das sagen und nicht den von mir vorgeschlagenen Text verwenden.
Es gibt einen längeren Disput. Wir wälzen Worte hin- und her, formulieren um und streichen, ergänzen, flickschustern und nähen und vergeigen den Text komplett.
Mit unserer Diskussion sind wir beim Schreiben allgemein gelandet. Manche Schreiber lieben es, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und zu dichten. Andere wiederum haben lieber Vorlagen oder bereits Geschriebenes und passen es an oder entwickeln es weiter.
Wir philosophieren darüber, warum das so ist und was die Menschen überhaupt vom Schreiben haben. Wer hat denn damit angefangen? Vorgeschichtliche Jäger. Ach! Ja, Höhlenmalereien sind die ersten Schriftzeichen. So, so. Dann die Knotenschnüre der Inka, chinesische Pinselschrift, ägyptische Hieroglyphen, die Römer mit ihrer Capitalis und der von uns allen verwendeten lateinischen Schrift.
Schreiben gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. „So ein Quatsch,“ meint Ulla. „Schreiben ist einfach nur nützlich.“ „Ja, eben, und Nützliches ist immer ein Grundbedürfnis.“
Wir erinnern uns daran, dass wir einen Podcast sprechen wollten und wollen uns eifrig wieder dem Text zuwenden, als Ullas Handy läutet. Oh je, sie muss gehen. Zu Hause ist die Hölle los. die Tochter ihres Lebensgefährten rastet mal wieder aus. Und der Podcast? Sie ruft ihren Lebensgefährten an, und der ist sofort bereit, zwecks Entschärfung der Situation nach Hause zu rasen. „Ansonsten sieht es düster aus um unsere Wohnungseinrichtung,“ jammert Ulla.
Fangen wir jetzt an? Ich baue das Studio auf. Ulla ist mit ihren Gedanken natürlich nicht bei der Sache. Also denke ich mir, lassen wir den Text einfach kommen. Das Thema ist ja bekannt.
Gut, dass wir den Text schriftlich vergeigt haben und in diese Situation gekommen sind. Improvisiert ist doch alles besser.